Maison 44, Basel, 2017

Materialisierte Erinnerungen - Ausstellungstext zu 'Das Licht fällt ins Zimmer, auch wenn ich nicht da bin'

Andreas Frick präsentiert Werke aus 30 Jahren.
Entlang einer Täferkante hängt eine Reihe von subtilen, gleichförmigen Arbeiten. Feine Linien werden darin sichtbar, umgeben von Tausenden von einzelnen Körnern. Im Zusammenhang gesehen, bilden sie die Konturen einer Landschaft ab. Es ist der Pulsschlag des Meeres, der sich am Strand eingeschrieben hat und von Andreas Frick in unzähligen Fotografien ein­gefangen wurde. Augenblick und Vergänglichkeit manifestieren sich in die­sen Sanddiagrammen, und es wird ein kleines Stück Ewigkeit spürbar.

Die Zeit als Thema begleitet den Künstler schon lange in seinem Schaffen, sei es in Silberstiftzeichnungen oder Vergilbungsprozessen. Sichtbar wird dies auch in der alles verbindenden Arbeit ‹Continuum›, ein Archiv aus Polaroids von verlorenen Werken, aus Collagen, kleinen Zeichnungen, Aquarellen und Fundstücken aus rund 30 Jahren. Diese Art Speicher von visualisierten Gedanken ist Zustandsprotokoll, Künstler­Archiv und dient gleichzeitig als Fundament für neue Entwürfe.

Zeitgefäss.
In der Ausstellung deutet Andreas Frick die Villa am Steinen­ring zum Zeitgefäss um. Er vernetzt die drei Etagen künstlerisch, indem er feine Fäden zwischen Gegenwart und Vergangenheit spannt und die Gege­benheiten der Örtlichkeit miteinbezieht.

Das Maison 44 ist ein interdisziplinärer Kunstraum unter der Leitung von Ute Stoecklin. Im Parterre steht ein Konzertflügel, den Frick in seine orts­spezifische Installation integriert. Im geöffneten Deckel spiegelt sich der Alltag durchs Fenster: Menschen und Fahrzeuge ziehen hinter den Gardinen vorbei. Der Bilderstrom wird von einem schwarz kaschierten Barockspiegel wieder aufgefangen und von einer Kamera live ins Untergeschoss weiter­ geleitet. In der ‹Unterwelt› erscheint die Projektion als Fluss von Schatten­formen an der Wand. Gegenüber hängt still eine weisse Kinderschaukel und lässt über das Vergehen der Jahre sinnieren.

Weisse Objekte sind auch im Obergeschoss präsent. Hier liegen abgewetzte Metzgermesser in einer Blechschale, und eine Girlande aus s-­förmigen Flei­scherhaken baumelt elegant von der Decke. Aber ‹Vaters Messer› (2017) sind nicht aus Stahl, sondern aus zartem, weissem Porzellan gegossen; Fragilität hat hier das Martialische abgelöst. Dem Kontext entzogen und stofflich ver­wandelt, erscheinen die Dinge ephemer und fremd – wie ein eingefrorenes Erinnerungsbild.

Iris Kretzschmar

Kunsthalle Basel, 2014

Ausschnitt aus dem Textheft zur Ausstellung form follows form follows form, Kunsthalle Basel, 2015


Auch die Heliogravüren Gucun II (2013) des in Basel lebenden Künstlers Andreas Frick ergeben von weitem ein optisches Muster, dessen Inhalt sich bei näherem Betrachten konkretisiert. So erkennt man erst dann die Fotografien, die der Arbeit zu Grunde liegen und unterschiedlich lange Schilfe im Wasser und deren Spiegelung sichtbar machen.

Frick bedient sich der Technik der Heliogravüre, ein fototechnisches Druckverfahren, mit dem Fotografien reproduziert werden und dabei echte Halbtöne dargestellt werden können. So werden feinste Strukturen und Texturen in den Drucken sichtbar, welche die poetische und zarte Wirkung des Motivs unterstützen. Die Arbeiten Lido (2014) und schwarz sehen (2014) bedienen sich einer etwas anderen Bildsprache und zeigen abstrakt wirkende Malereien, die sich in ihrer Form auf die Farbabstufungen verschiedener Weiss- und Schwarztöne konzentrieren.

Ähnlich auch die Arbeit là haut/en bas (2011), eine Heliogravüre, die das Treppenhaus im Atelier des Künstlers zeigt und durch die Wahl des Ausschnitts das Motiv der Treppe und deren Lichtverhältnisse zu einem schwarz weiss Muster transformiert.

Fricks Arbeiten tragen durch die Abstraktion ihrer Motive eine verschlüsselte Bildsprache in sich, die von inneren Erfahrungen, Erinnerungen und Erlebnissen des Künstlers geprägt ist und im Betrachter unterschiedliche Assoziationen auslösen kann.

form follows form follows form bringt, eine Auswahl an Künstlerinnen zusammen, die sich innerhalb ihrer Arbeit mit Formenbildung, Mustern und Strukturen beschäftigen und ein grosses Interesse an der Thematik und deren Vielfalt sichtbar machen. Lässt sich das Material als solches schon als eine Form lesen oder inwiefern braucht es eine künstlerische Intervention, um Formen zu schaffen?

Die Ausstellung wurde kuratiert von Mara Berger und Fabian Schöneich.

Projektraum M54, Basel 2015

Ausschnitt aus dem Saaltext zur Ausstellung Prototypisch, Projektraum M54, Basel, 2015


Drei auf den ersten Blick identische, hochformatige, ungrundierte Leinwände mit einem quadratischen Feld aus schwarzen Horizontalstreifen bilden die Werkgruppe «Lido». Die Kleinserie nährt mit ihrer gleichförmigen Erscheinung die Idee von Serialität. Umso mehr, wenn man Andreas Fricks Produktionsweise kennt: Ölfarbe in vier Schwarznuancen wird für die einzelnen Bahnen direkt aus der Tube verwendet. Dabei definiert sich die Breite der Streifen durch die Breite von handelsüblichem Malerklebeband, das der Künstler schablonenartig anbringt, um im ausgesparten Bereich der Leinwand die Farbe mit dem Spachtel aufzutragen. In einem nahezu mechanischen Prozess wird in vier Schritten mit beachtlichen Trocknungsphasen das Werk erschaffen.

Die minimalistische Serie spielt nicht nur mit dem Wiederholbaren, sondern ebenso mit dem vermeintlichen Makel des mechanischen Prozesses, dessen feine Differenzen erst bei näherer Betrachtung sichtbar werden. Unterschiedliche Betrachtungswinkel bringen zudem die farbliche Qualität wie auch die Tiefe der abweichenden Schwarztöne zur Geltung. Das Auge springt hin und her: zwischen den einzelnen Streifen, deren rhythmischen Wiederholung und schliesslich zwischen den drei Gemäldevarianten.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Marcel Scheible und Andrea Schweiger

Galerie Martin Flaig, Basel, 2008

Saaltext zur Ausstellung Arbeiten auf Papier II, Galerie Martin Flaig, Basel, 2008


Grelle und bewusst eingesetzte Farben sind im Werk von Andreas Frick auf den ersten Blick nicht existent. Es scheint fast als hätte der Künstler Bedenken Farben einzusetzen. Bei der vertieften Auseinandersetzung mit seiner Arbeit wird aber sehr schnell sein Interesse spür- und sichtbar. Farbe wird erst auf den zweiten Blick wahrnehmbar.

Andreas Frick überlässt den Einsatz der Farbe einer anderen physikalischen Grösse, nämlich der Zeit. Sie ist ein wertvoller wichtiger Grundpfeiler seiner Arbeit. Die Zeit erlaubt es dem Künstler seine Ideen, seine Bildsprache und sein Werk im Kopf zu formen, verändern, gedeihen. Sie lässt Assoziationen entstehen, sich entwickeln, eine Auseinandersetzung stattfinden bis der richtige Moment gekommen ist, um mit dem Motiv, der Idee und der Vorstellungskraft zu arbeiten. Oft greift Frick erst nach vielen Jahren auf eine Fotografie, eine Zeichnung oder eine Vorlage zurück. Mit diesen Vorlagen experimentiert er aber in verschiedenen Medien, weshalb im Entwicklungsprozess auch immer ein Verdichtungs- und Transformationsprozess des Motivs stattfindet.

Dem Werk liegt ein Impuls zugrunde, der erst durch den Faktor Zeit und schliesslich durch das Aneinanderreihen der einzelnen Elemente zu einer Verdichtung kommt. In Andreas Fricks Arbeiten kommen deshalb auch keine Gefühle von Hektik, keine Grobheit auf, kein physisches Eingreifen, sondern ein Ineinandergehen, ein Fliessen, ein Ruhen und Geschehen lassen.

Dieser Schaffensprozess ist besonders in den beiden Arbeiten «Place Monge I & II» und «Berenike» nachvollziehbar. Zwischen der Entstehung dieser Arbeiten liegen zwei Jahre, sie haben den gleichen Ausgangspunkt: Es ist das Interesse und die Faszination für das literarische Werk von Claude Simon. Erstere Arbeit zeigt mit ganz feiner Handschrift ein angedeutetes Porträt von Bäumen sowie sich im Hintergrund verlaufende Spuren. Gezeichnet auf einem vergilbten Papier, das der Künstler in einem Antiquariat gefunden hat, wird der Zeit- und Farbaspekt wiederum subtil als Thema aufgegriffen. Die Spuren dieser Arbeit gehen auf zwei gefundene Fotografien der «Place Monge I & II» (wo Claude Simon lebte), die Frick vor einigen Jahren aus einer alten Zeitschrift nahm.

Die zweite Arbeit hat den Ausgangspunkt im Text «Das Haar der Berenike» (erschienen 1984 - mit 23 Illustrationen von Joan Miró), ein Prosastück geschrieben von Claude Simon, in neunundsechzig beschreibenden lyrischen Skizzen.[1] Frick übermalt hier mit Ausnahme der farblichen Charakterisierungen den gesamten Text mit Tipex. Zurück bleiben einzelne Wörter, einer Partitur ähnlich sehend, dies verstärkt durch die Pastosizität der weiss aufgetragenen Tipex-Schicht. Man glaubt fast, beim «Lesen» der verbliebenen Farben Töne hören zu können, so bedeutsam werden die Wörter, die wir in unserer Vorstellungskraft zu Farben assoziieren. Interessant ist, dass man, wenn man den Blick auf die «Place Monge I & II» mit den fein gezeichneten Bäumen schwenkt, diese Töne plötzlich wieder verstummen und Ruhe einkehrt.

Auch in der Arbeit «Ponente I-V» ist der zeitliche und assoziative Blickwinkel wieder auffallend. Erneut bilden Fotografien Ausgangspunkt der Arbeit. Hier arbeitet Frick mit der Technik der Heliogravür, um die Nachtaufnahme einer Welle, die am Strand ausgelaufen und zu Schaum geworden ist, zur Perfektion zu bringen. Es entsteht ein ganz neuer Zugang zur Vorlage, das Motiv wird abstrahiert und lässt zu, dass man den Wasserschaum auf den ersten Blick als Schnee interpretiert. Im Vordergrund scheint der weisse Schaum fast zu blenden, und nur allmählich kommt man in den Sog des Bildes, bis der Blick sich in der satten Dunkelheit verliert und schliesslich auflöst. Diese Dunkelheit so wiederzugeben ist Frick erst mit der Technik der Heliogravür gelungen.

Das Spiel mit Assoziationen ist ein weiteres Charakteristikum von Fricks Schaffen. Auch bei der Arbeit «Teppich» sucht der Betrachter nach Orientierung und Hilfe, um zu verstehen was vorliegt. Am Anfang scheint es ein Blumenbeet zu sein, bis sich die Augen an den oberen Bildrand bewegen, wo ein Übergang von dem blumigen Muster zu einer neutralen Fläche mit einer Andeutung von zwei angeschnittenen parallelen Strichen in quadratischer Form zu erkennen ist. Sofort setzt ein Überdenken des Gesehenen ein und das Motiv des Teppichs wird unverkennbar. Das erste Herantasten wagte Frick am Anfang mit einem Ölgemälde, dieses entsprach ihm aber nicht, so dass er es später zerstörte.

Insgesamt wird sehr deutlich eine einheitliche Bildsprache spürbar. Charakteristisch ist, dass in Fricks Werk Raum für Assoziationen, Verknüpfungen und Verbindungen auf allen Ebenen zugelassen werden.

[1] Ein Prosastück in neunundsechzig beschreibenden lyrischen Skizzen, wie eine Miniatur: Frauen am Strand, Fischer auf ihren Booten am Strand, nachts die Boote ins Wasser schiebend, in einem Haus, Maultiergespann, Docks, Kaianlagenq, Arbeiter, ein Bordell, Huren, Strandgut, Fussspuren am Strand

Bettina Kaufmann

Galerie Martin Flaig, Basel, 2005

Katalogtext zur Ausstellung Arbeiten auf Papier, Galerie Martin Flaig, Basel, 2005


Die Größe der Landschaft empfängt den Betrachter und der versucht sich sofort zu orientieren. Doch das zentralperspektivisch geschulte Auge bleibt stecken, die einmal gefundene Ordnung löst sich nicht ein und auch eigene Seherinnerungen helfen da nicht weiter. Denn alles, was sonst konstitutiv ist, dass dunkel für Materie oder aber für Schatten steht, geht nicht auf. Auch die Perspektive bricht immer wieder, Räumliches kippt unvermittelt in die Fläche, die Grenze zwischen beiden Ebenen ist nur schwer erahnbar.

Auf der Suche nach Ordnung hält sich das Auge an die vertrauten konzentrischen Linien geografischer Karten, angelt sich diesen Höhenmetern, eine Aufsicht annehmend entlang, um am Ende bei einem Kulminationspunkt ohne Bedeutung anzulangen. Derart ins Leere laufend und immer wieder neu Verbindungen knüpfend, vollzieht man selbst den gestaltenden, nie endenden, lange Zeiträume umfassenden Prozess der Formung, welcher dieser Gletscherlandschaft so eigen ist. Das Materielle manifestiert sich als Eis in den weißen Flächen der Zeichnung, sich differenzierend und gleichzeitig angleichend an die Freiflächen des Blattes. Die Landschaft der Aufnahme erscheint erst wieder in der Wandprojektion. Licht und Schatten formen hier das Relief neu. Hinzu fügt sie, einem Daumenabdruck gleich, ihre eigene Licht- und Schattenlinie der Linse, die wiederum getreu von dem präzisen und harten Bleistiftabdruck übernommen wird. Die scheinbar exakte Darstellung wandelt sich in ihr Gegenteil, denn die sich sedimentartig überlagernden Schichten bilden ein Ordnungskonglomerat, welches den Betrachter zu nie endenden Imaginationen verführt.

Zwei kleinere Zeichnungen bilden ein Paar, nicht nur auf Grund des weichen Graphitauftrags. Sie berufen sich auch auf den gleichen Ursprung, ein flüchtiges Erinnerungsbild, ein Schnappschuss sozusagen. Je einen anderen Teil der Aufnahme spiegeln die Zeichnungen. Sie scheinen, wie durch Dauerbelichtung der Blätter im Gegensatz zur vermeintlich schnellen Aufnahme entstanden zu sein, so sich quasi selbst generierend durch Licht und Zeit. Doch auch das täuscht, es bleibt eine Zeichnung.

Mit dem vergilbten Papier, den Spuren aufgeklebten Tesafilms und darüber gelegter Blätter, die das Licht weniger hindurch ließen, vermitteln sie einen Aspekt von Zufälligkeit. Wie Erscheinungen, die genauso schnell wieder verschwinden können, wie sie auftauchten, in ständiger Konstruktion und deren Abbau. Der Augenblick scheint in diesen unterschiedlichen Prozessen, sei es in der schnellen Bewegung der Aufnahme oder der allmählichen Bilderscheinung durch die Zeichnung stillgestellt worden zu sein.

Der ständigen Verwandlung tragen auch die neun Arbeiten ohne Titel Rechnung. Jeder Bildgegenstand, jedes Motiv trägt hier Geschichte, befindet sich in einer langen Kette alter Lebensspuren, die langsam verblassen, sich auflösen und doch, gerade wenn sie getilgt werden sollen, durchdrücken. Es gibt keine Freiräume, unbesetzte Orte mehr, keinen völlig unschuldigen Neubeginn. Doch gleichzeitig eröffnen solche Überlagerungen die Aussicht auf Assoziationen, Bezüge, ob inhaltlicher oder formaler Natur, die unberechenbar und darum umso freier sind. Den Spuren folgend, sie in ihre enge Verflechtung mit dem Jetzt zu setzen, relativiert beide Seiten und zeigt auch ihre bzw. unsere Abhängigkeit. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben!

Kerstin Richter